Butzbach wird Hauptstadt für Sport-Stacker: Nationale Elite trifft sich Ende Januar in der Mehrzweckhalle zum Hochgeschwindigkeits-Becher-Stapeln

BUTZBACH/ HUNGEN (bes). Beim Sportstacking werden mit einem Set von zwölf bunten Bechern Pyramiden in verschiedenen Varianten auf- und wieder abgebaut. Dabei versucht man möglichst fehlerfrei und vor allem möglichst schnell zu sein. Schüler der Butzbacher Weidigschule zählen darin zur Weltspitze. Ende Januar trifft sich die nationale Elite dort, um die Deutschen Meister zu ermitteln.

Sportstacking, zu deutsch Sport-Stapeln, ist ein ziemlich langweiliger Begriff für einen Sport, bei dem es so rasant zugeht, dass ungelernte Augen den Bewegungen nicht folgen können. Zwölf Plastikbecher müssen zu unterschiedlich hohen Pyramiden gestapelt und wieder abgebaut werden - das Ganze auf Zeit. Die Reihenfolge der Aufstellung und des Abbaus ist vorgegeben.

 

In der Mehrzweckhalle Pohl-Göns trifft sich Ende Januar die nationale Elite im Sport-Stacking. Marcus Reitz von der Butzbacher Weidigschule wird dabei sein und wie in Denver um einen Titel kämpfen.


Zu Beginn und zum Ende eines Spiels schlägt der Stapler mit beiden Händen auf die spezielle Matte, auf der er stapelt. Die integrierte Uhr misst die Zeit. Je nach Disziplin bleibt sie schon nach wenigen Sekunden stehen. Gerade mal 2,59 Sekunden benötigte der zehnjährige Timo Reuhl, ebenfalls von der Weidigschule, für seinen Weltrekord in der Disziplin "3-3-3" in seiner Altersklasse. Sein Vater Burkhard Reuhl, Lehrer für Englisch, Biologie und Primärprävention an derselben Schule, leitet die AG. Er betont, dass es beim Sportstacking nicht nur um die sportliche Komponente gehe: Durch Geschicklichkeitsspiel auf Zeit werde die, Koordination von Auge und Hand gefördert. Je intensiver man das Stapeln der Plastikbecher einübt, um so besser werden die beiden dazu nötigen Gehirnhälften miteinander vernetzt, was wiederum die Konzentrationsfähigkeit steigert und eine vergrößerte Stressresistenz bewirke, erklärt der Pädagoge. Außerdem fördere es die Beidhändigkeit, die eine wesentliche Grundlage für viele Bewegungsabläufe -  nicht nur im Sport - darstelle. Auch beim Spielen von Instrumenten oder bei handwerklichen Tätigkeiten sei dies eine Notwendigkeit.


Voll konzentriert geht es an die Hochstapelei: Sport-Stacking macht Spaß und trainiert ganz nebenbei beide Hirnhälften

Den Geschicklichkeitssport entwickelte Ende der 90er Jahre der amerikanische Sportlehrer Bob Fox. Mittlerweile existieren in den USA an rund 10000 Schulen Speed Stacking- Teams, die sich in mehreren Altersklassen und in drei Disziplinen im nationalen Rahmen und bei Weltmeisterschaften mit der internationalen Konkurrenz messen.

Butzbach ist in Deutschland so etwas wie die Sportstacking-Hauptstadt: Hier fanden 2006 die nationalen Endausscheidungen statt, außerdem richtete die Weidigschule vor wenigen Wochen ein Großturnier aus, bei der internationale Spitzenleistungen erzielt wurden. Da lagen die größten Erfolge für die Schüler der Weidigschule schon einige Monate zurück: Bei der Weltmeisterschaft Anfang April 2006 in den USA in Denver/ Colorado konnte der zehnjährige David Wolf die Gesamttitel über alle Altersklassen in den Disziplinen 3-3-3 und 3-6-3 gewinnen. Innerhalb ihrer Altersklasse holte Miriam Christ den größtmöglichen Erfolg: 7 von 7 Weltmeistertiteln. Gleiches gelang Boris Nikolai Konrad. Er gewann in der Altersklasse der 19- bis 24-jährigen alle Disziplinen. Insgesamt elf Weltmeistertitel heimsten Schüler und Lehrer ein.

Mittlerweile sind weitere Lehrer auf die Sportart aufmerksam geworden und haben sie an heimischen Schulen etabliert. Seit Februar 2005 üben etwa an der Gesamtschule Hungen Schüler der 6. und 7. Klassen in Geschicklichkeit und Geduld.

Die offiziellen Regeln hat die WSSA (World Sport Stacking Association) aufgestellt, welche auch die Turniere sanktioniert. Sie führt bereits seit mehreren Jahren die Weltmeisterschaft und weitere Turniere durch und führt die offizielle Weltrekordliste entsprechend der verschiedenen Altersklassen. Die Sportart wird bisher hauptsächlich von Schülern betrieben. Aber gerade in Deutschland entdecken immer mehr Erwachsene den Reiz des Spiels. Verkehrte Welt bei der Leistungsfähigkeit: Auch wenn die Teilnehmer in den Altersklassen für Studenten (19 bis 24 Jahre) und Erwachsene (25-60) deutlich aufgeholt haben, haben die Schüler immer noch die Nase vorne.

Mittlerweile wurde auch die mediale Öffentlichkeit auf die Butzbacher Schüler aufmerksam. In Fernsehauftritten bei Stefan Raab und Günther Jauch demonstrierten sie ihr Können und machten Sportstacking weiter publik.

Für die Deutschen Meisterschaften im Einzel und Doppel am 27. Januar in der Mehrzweckhalle Pohl-Göns rechnen die Organisatoren mit einem Rekordmeldeergebnis, nachdem schon zu den 3. Weidig Sport Stacking Meisterschaften ("Weidig Open") über 300 Teilnehmer anreisten. Meldeschluss ist am 19. Januar.

Weitere Infos und Anmeldung im Internet unter www.sst-butzbach.de



Die Abräumer in Colorado: Miriam Christ und Christoph Sauer.

Fakten

Das menschliche Gehirn besteht aus zwei Hälften, der rechten und der linken Hemisphäre, die sich in ihrer Funktion, unterscheiden. In der linken Hirnhälfte sind überwiegend unsere analytischen und logischen Fähigkeiten lokalisiert; hier wird zum Beispiel die grammatische Struktur eines Satzes verarbeitet. Die rechte Hirnhälfte ist für ganzheitliches gestalthaftes Wahrnehmen zuständig, zum Beispiel für Gestik und Mimik.

Die Nerven, die von der jeweiligen Hirnhälfte in den Körper laufen, überkreuzen sich im Gehirn, so dass die rechte Hemisphäre die linke Körperhälfte steuert und umgekehrt. Um Lernen zu können, um die Welt verstehen zu können, müssen beide Gehirnhälften zusammenarbeiten. Nervenbahnen, die im Laufe des Heranwachsens entstehen und beide Hälften miteinander verschalten, machen das möglich. Doch dafür muss etwas getan werden, oder anders gesagt: Dafür muss sich bewegt werden. Denn mit jeder neuen Bewegungsphase, sei es das Robben der Kleinkinder oder das Radfahren der Jugendlichen, entstehen neue Schaltkreise: Und je mehr Schaltkreise, desto besser lernt der Mensch.

Beim Sportstacking werden beide Hirnhälften beansprucht, denn beide Hände arbeiten abwechselnd. Insbesondere dadurch, dass die rechte Hand auch im linken Gesichtsfeld arbeitet und umgekehrt, werden neue Schaltkreise angelegt. Aber die für die Verschaltung notwendige Bewegung nimmt mit zunehmendem Alter immer mehr ab. Damit lässt auch die Fähigkeit nach, beide Hirnhälften zu nutzen.

So kommt es, dass bei den Stackern vor allem die Jugendlichen die Nase vorn haben. Was ein Elfjähriger in knapp drei Sekunden schafft, dafür braucht ein Erwachsener  doppelt solange.   (bes)

Fotos: Schmid

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